Männerphantasien I,

frauen, fluten, körper, geschichte

Der Einstieg in das Buch mit den Biografien und Brief-Dokumenten von sieben Freikorps-Männern; dies sind: Lettow-Vorbeck, ein alter Offizier (General), Erhard, Roßbach, Kiplinger und Niemöller, vier jüngere Offiziere, (diese fünf hatten den Ersten Weltkrieg mitgemacht), Salomon, ein Kadett und Höß, ein Unteroffizier, allen gemeinsam ist eine militärische Erziehung, und konkret bei vieren an einer preussischen Kadettenanstalt. Alle sind maßgeblich oder führend beteiligt am Kapp-Putsch und an der Niederschlagung der darauf folgenden Ruhraufstände 1920, sowie den Freikorps-Aktionen im Baltikum. Neben den offen militärischen Einsätzen gegen die Arbeiter im Ruhrgebiet oder die Räterepublik in Lettland waren politische Morde zentrales Agieren der Freikorps (Weisser Terror). Hervorzuheben hier die Ermordung Kurt Einsers, Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts sowie unzähligen weiteren Kommunisten und Linken.

„Gefragt wird nach dem Wesen des ‚weissen Terrors‘ und der Sprache der soldatischen Männer als Teil davon. Es geht also nicht um die Frage, was die Sprache der soldatischen Männer ‚aussagt‘ oder ‚bedeutet‘; vielmehrist zu fragen, wie sie funktioniert: Welche Rolle sie im Verhältnis des Mannes zur Realität spielt und wo ihr körperlicher Ort ist.“ (S.44)

Was schreiben diese Männer an ihre Frauen, ihre Bräute, wie sprechen sie von ihnen.

Beitrag wird fortgesetzt.


Ströme

Was da fließt…

Eines der spannendsten Kapitel aus den monolithischen Männerphantasien. Die endlose Verknüpfung (in der männlichen Vorstellungswelt?) von Frauen mit dem Wasser, dem Meer, der Woge, der Quelle etc. etc. und den Vorstellungen vom Fließen in Liebe Sexualität, Kreativität und aber auch allgemeiner: der Produktion (von etwas). Theweleit zitiert immer wieder Deleuze/Guattari (Anti-Ödipus)und die Wunschproduktion, das Strömen des Wunsches. Zur Produktion kommen auch die Waren- und Geldströme des Kapitalismus hinzu. Ein ziemlich ausuferndes Netz von Flüssen und Strömen, das immer die Drohung beinhaltet, das Individuum mit hinweg zu reissen. So bekommen die Frauen und ihre feuchten Körper eine bedrohliche Kraft die unbedingt gelenkt und eingedämmt werden muss.

Zum Gefühl des Strömens in einer Auseinandersetzung von Freud mit Romain Rolland, welcher die Quelle der Religiosität als Gefühl des ‚Ozeanischen‘ beschreibt: Freud entgegnet umfänglich, er könne dieses Gefühl nicht in sich entdecken und erklärt es, rationalisiert es, teilweise weg, sieht darin ein zu überwindendes Säuglings-Stadium.
„Mit seiner scheinbar so harmlosen Bemerkung vom ‚ozeanischen Gefühl‘ scheint Rolland etwas sehr Bedeutsames getroffen zu haben; er provozierte eine Seite Freuds, die offen Angst hat vor der möglichen Grenzenlosigkeit der Person; erstaunlicherweise äußert sich diese Angst im Zusammenhang mit einem Gefühl, das Rolland als glückliches unterstellt.“ (S. 311)

Vorstellungen von Oben und Unten: geistige Sphären und Meerestiefen. Freuds Modell des psychischen Apparates wie ein Schichtenmodell: Es, Ich, Über-Ich. In Deleuze/Guattaris Kritik ein Modell der Repräsentation, keines der Produktion, der Begriff, den Deleuze und Guattari in die Vorstellung vom Unbewussten einbringen:
„[…] das Verständnis des menschlichen Unterbewussten als einer Produktionskraft, das Verständnis davon, dass es nicht eine besondere ‚psychische‘ Realität produziere, sondern die ‚gesellschaftliche‘ Realität.“ (S.313)

„sich zusammenzunehmen, das heißt ihre Ergüsse zu kontrollieren oder keine zu haben.“ (315)

Vermutung/These: „…dass die konkrete Form des Kampfes gegen die fließend/maschinelle Produktionskraft des Unterbewussten als Kampf gegen die Frauen, als Kampf gegen weibliche Sexualität geführt wurde (und wird).“ (316 f.)

„Dies ist der Widerspruch: Parallel zum Prozess der primären Akkumulation in der Industrie, der eine unbekannte Entgrenzung der Produktionsmöglichkeiten der Menschen schafft, der Geld-, Waren-, Arbeiterströme in Gang setzt und sich selber mit den Blut- und Schweißströmen der Arbeiter und außereuropäischen Völker antreibt, läuft ein gesellschaftlicher Prozess der Begrenzung, der auf die Entfaltung der menschlichen Lüste zielt.
Deleuze/Guattari nennen den ersten Prozess eine ‚Deterritorialisierung‘ – die Erschließung neuer Möglichkeiten der Wunschproduktion auf dem organlosen Körper -, den zweite Prozess eine ‚Reterritorialisierung‘, das ist der gewaltsame Versuch der Herrschenden, die neuen Produktionsmöglichkeiten nicht zu neuen Freiheiten der Menschen werden zu lassen.“ (326)

Die umfassendste Deterritorialisierung ist der Kapitalismus: Wunschstöre werden zu Geldströmen, das Teilhaben – oder sogar lenken – des Geldstroms ist der alles beherrschende Wunsch.

Andere, „älteste“ Codierung: „[Der] Wandel der Funktion, dem die Frauen im patriarchalischen Mann/Frau-Verhältnis im Verlauf der Geschichte unterworfen wurden. Von der Teilnahme an den männlichen Produktionen, den öffentlich-gesellschaftlichen, ist die Produktivkraft der Frauen im Patriarchat im Wesentlichen ausgeschlossen. Wo ist diese Kraft geblieben? Zum einen dürfte sie versickert sein in der direkten Sklavenarbeit für die Männer; ich glaube jedoch nicht, dass diese Absorption ausreichte, dass die Funktion der Frauen sich darin erschöpfte, tragbares Kleinkraftwerk für den Mann zu sein, wie Bornemann meint. Ich denke, […] sie wurden zu etwas Schlimmerem gebraucht, nämlich selber als ein Absorptionsfaktor zu dienen und zwar als ein Absorptionsfaktor der Produktivkraft der Männer der jeweils beherrschten Klassen zu Gunsten der Herrschenden. […] In der gesamten europäischen Literatur fließt der Wunsch durch die Frau , fließt er in irgendeiner Weise im Zusammenhang mit dem Bild der Frau. […] In der ersten Funktion, als ‚Kraftwerk‘, existiert die Frau in der abendländischen Literatur überhaupt nicht, genauso wenig wie der Sklave im Altertum, der Bauer im Mittelalter, der Arbeiter in der Neuzeit, die den Mehrwert schaffen. In ihrer zweiten Funktion, als selber absorbierende Kraft, ist sie einer der zentralen Stoffe, wahrscheinlich sogar der Hauptstoff dieser Literatur.“ (336 f.)
Das ist: Geschichte des Frauen-Bildes versus Geschichte des Mannes.
[Der Bilderreichtum der imaginierten Weiblichkeit, wie von Silvia Bovenschen ausgeführt, umfasst Projektionen, idealisierte Gegenentwürfe und Ergänzungsphantasien des Mannes, denen die Lebensrealität der Frauen gar nicht gerecht werden kann; hiervon enttäuscht wird die reale Frau abgewertet.]

„Der Überhöhung gesellt sich die Negation der konkreten fleischlichen Realität der Frauen. Jede einzelne wirkliche Frau wird unbrauchbar für die edlen Zwecke und paradiesischen Lüste der schöpferischen Herren, die ihre Taten den Frauen zwar gern widmen (immer seit dem 14. Jahrhundert hängt irgendwo das Bild einer über alle Maßen vollkommenen ‚Beatrice‘ am Himmel, der alles gilt), aber unbedingt ohne sie vollbringen wollen.“ (S. 351)

„Man kann vermuten, die Entgrenzung und Entpersönlichung der Frauen ist eine Folge der großen Abstraktion des Wunsches, dem es an adäquaten Gegenständen fehlt. An adäquaten Objekten fehlt es dem Wunsch immer nur aufgrund von Herrschaftsbarrieren. Aus ihnen erwächst die Koppelung von Frauenbild/Wunscherfüllungsvorstellung. Nicht eine lebende reale Frau erscheint im Zusammenhang mit dem Wunsch (auch wenn [Mann] eine bestimmte Frau für die Verkörperung seiner Vorstellung hält); ebenso nicht die reale Arbeit.“ (ebda)

Wunschterritorium Frau:
„Da die Frauen bisher niemals unmittelbar identisch mit den dominanten historischen Prozessen sein konnten, die zum Beispiel zur bürgerlichen Gesellschaft geführt haben, weil sie nie unmittelbare Träger dieser Prozesse waren, sondern immer in irgendeiner Weise ihr Objekt oder ihr Stoff, ein Stück Natur also, das zu vergesellschaften war, ist es möglich gewesen, dass Männer sie insgesamt als Teil des ‚unorganischen Leibs‘ der Erde, auf dem ihre Produktionen sich ereignen, gesehen und benutzt haben.
So kann hinter jeder neuen Entgrenzung die Summe der Leiber der Frauen erscheinen, Meere von bewegtem Fleisch und jungfräulicher Haut, Haarströme, Augenseen, ein unendliches umbetretenes Wunschterritorium, auf das in jeder Phase historischer Deterritorialisierungen die Wünsche von Männern sich ergießen konnten auf der Suche nach Material für die (unkonkreten) Utopien.“