Klaus Theweleit: Po-CA-hon-tas

Das Buch der Königstöchter (CA)

Von Göttermännern und Menschenfrauen
Mythenbildung, vorhomerisch, amerikanisch

2013, Stroemfeld/Roter Stern, 736 Seiten

Die über das Festland in die Ägäis einströmenden indogermanischen Völker, also die frühen Griechen, bringen ihre Götterwelt mit und überschreiben die lokalen Mythen mit dem eigenen Gründungsmythos. Sie erschaffen und verorten, wie in allen Gründungsmythen, ihre eigene Historie neu indem die gewaltsame Eroberung des Landes von der Erzählung göttlicher Abenteuer- und Liebesgeschichten überdeckt wird. Die Götter werden darin zu den eigentlichen Akteuren der Landnahme indem sie menschliche Frauen, und zwar stets die Töchter der lokalen Herrscher, Königstöchter also, begehren, verführen bzw. entführen und vergewaltigen. Aus diesen Verbindungen zwischen männlichem Gott und aristokratischer Frau geht ein neues Geschlecht hervor, die Heroen – dann in der Mythologie zu den Stammvätern der Griechen fortgeschrieben. Ganz gleich ob die jeweilige Königstochter in Liebe oder unter Gewalt die Seite wechselt und aus ihrer Herkunftskultur zu den Griechen bzw. deren Göttern überläuft, erfolgt stets ihre Verstoßung durch den Vater und meist auch ihre Ermordung. Insofern die Götter die Frau nicht auch vor der väterlichen Verfolgung retten, stürzen und vernichten sie immer den Vater-König und mit ihm die Herrschaft seines Stammes. Die Königstochter wird in doppelter Funktion das Bauernopfer in einem Eroberungsfeldzug. Sie gebiert zum einen das neue Geschlecht und legitimiert die zukünftigen Herren. Zum anderen gibt ihr Tod den Vorwand zur Rache durch die Götter. Immer wird durch die Erzählung die Verbindung eines Gebietes mit den neuen griechischen Göttern im Mythos fixiert. Theweleit nennt dies die Codierung des Landes. Die Dramatik der vielfach verwickelten Abenteuer-Erzählungen mit der Fokussierung auf die Leidenschaft des Götter-Mannes bewirkt eine geschickte Verunklarung von Ursache und Wirkung. Der Vater muss die negative Rolle des Verfolgers übernehmen und sein Sturz befestigt göttliche Ordnung. Da moralische Empörung über die Machtmanifestationen unserer Frühgeschichte nicht zur Entwicklung beitragen, gilt es auf die politisch wirksamen Mechanismen hinter den Mythen zu schauen:

Da in der patriarchalen Vater-Ökonomie die Töchter und Frauen als Besitz gehandelt und zu dynastischen Zwecken verheiratet werden, muss die Verstoßung der Königstochter erfolgen, damit sie nicht etwa für die dynastischen Pläne des Vaters genutzt werden kann und die Verbindung mit dem Gott einen Machtzuwachs darstellen könnte. Ihr Körper und ihre Nachkommen gehen in die Einflussphäre und den Besitz der neuen ‚Familie‘ über. Ihre Herkunft jedoch legitimiert den Besitzanspruch auf das Land ihres Vaters nach seiner (und gegebenenfalls seiner Söhne) Verdrängung/Vernichtung. Im Vergleich zu der Funktionsweise systematischer Vergewaltigung von Frauen im Krieg durch die feindlichen Soldaten, ist der Zweck aber nicht die explizite Unterwerfung und symbolische Zerstörung des Landes-Körpers im realen Körper der Frauen und deren ‚Unbrauchbar-Machen‘ für ihre Männer. Die Unterwerfung des eroberten Volkes in der griechischen Mythologie ist im Königstöchter-Raub zwar implizit enthalten, primär liefern diese Erzählungen jedoch die Legitimation der Herrschafts-Macht durch die mythische Verbindung mit göttlichem Willen, wobei die Gewalt mit dem göttlichen Liebesbegehren verbrämt wird.

Klaus Theweleit wertet umfassend die mythologischen Erzählungen von 24 solchen Königstöchtern aus, über deren Körper durch Raub/Vergewaltigung, die letztendliche Tötung, sowie auch die von ihnen geborenen Heroen, die Landnahme der griechischen Stämme in die Ägäis neu codiert wird. Von größtem Interesse ist gerade diese Bedeutungsebene des Um-Codierens und Neu-Schreibens von Geschichte und deren Folgen für Rezeption und Fortführung in unserer heutigen Kultur. Dass die Geschichte von den Siegern (um-)geschrieben wird, mag auf abstrakte Weise bekannt sein, vielleicht auch, dass die Liebesabenteuer der olympischen Götter sehr viel Gewalt und sehr wenig Liebe beschreiben. Aber dass dieser Mythos über Jahrhunderte das Bild-Material für die heroischen Taten von Männern geliefert hat erklärt die Zähigkeit mit der überkommene Rollenvorstellung und -Zuweisungen sich heute noch halten. Die humanistisch genannte Bildung hat noch vor einer Generation ein goldenes Zeitalter in der Antike behauptet.